Safari Njema - Gute Reise
Von Tandala, wo Marlis und ich seit 6 Monaten wohnen, sind es „nur“ 70 Kilometer nach Njombe, einer recht großen Stadt, wo sich unser Postamt befindet, wo Banken sogar Kreditkarten akzeptieren, wo es vielfältige Einkaufsmöglichkeiten gibt. Wer als „Mzungu“, als Europäer hier oben in den Livingstone Mountains lebt, muss mindestens einmal im Monat nach Njombe. Jetzt im März, auf dem Höhepunkt der Regenzeit, kann diese Fahrt über die einzige richtige „Straße“ des Bezirks Makete (Lehm, Geröll, Schlamm, tiefe Pfützen) schon mal anstatt drei Stunden etwas länger dauern: vier Stunden oder sechs oder...
Am Mittwoch, 25. März 2009, stehen wir um 6:30 Uhr morgens an der üblichen Haltestelle, nur 1 1/2 Kilometer von unserem Haus entfernt. Der Bus, der täglich einmal fährt, soll zwar schon um 6 Uhr, von Makete kommend, in Richtung Njombe losfahren, aber wir wissen, dass bei Makete schweres Durchkommen ist und er sich sicherlich etwas verspätet - vielleicht um eine Stunde wie an den Vortagen. Es wird diesmal ein geduldiges Warten, unterbrochen von ein paar Tassen Tee, einem Chapati-Frühstück mit Pastor Tobias Kyando aus Malembuli, der zufällig anruft, vorbeikommt und den zugesagten Zuschuss von 200 000 Tanzania-Schillingen (130 Euro) für einen „Tag der Waisen“ bar auf die Hand bekommt.
Um 10:30 sitzen wir tatsächlich im „Mwafrika“- Bus, ganz privilegiert vorne links, schräg hinter dem Fahrer. Dieser Platz wurde uns freundlicherweise eingeräumt, da ich zwei Wochen vorher im gleichen Bus auf einem hinteren Sitz bei einer besonders kräftigen Bodenwelle so heftig gegen die stählerne Gepäckablage über mir geschleudert wurde, dass ich 10 Tage lang eine Stirnbeule wie ein Hühnerei und ein blau gerändertes Auge wie Max Schmeling hatte . „Pole sana“- tut und leid – hatte ich tagelang von allen Seiten gehört, auch vom Buspersonal, das mir damals gleich einen Sitz weiter vorn einräumte – bei Überfüllung und vielen Stehplätzen keine leichte Aufgabe. Diesmal würde es eine Reise ohne blaues Auge werden. Dachte ich.
Der Busfahrer kennt jeden Stein, jedes Loch und jede Tücke auf dieser Strecke. Er fährt sie jeden Tag. So kommt er auch diesmal gut durch die Serpentinen, vorbei an Steilabhängen, über mit spitzen Steinen und dicken Felsbrocken gefüllte Schlammlöcher bei Usungilo und Mang’oto, und dahinter ist dann die leicht abfallende Straße gut befestigt, ausgebaut und stark gerundet, damit die Regenmassen schnell abfließen.
Allerdings versperrte uns nun ein liegengebliebener Lastwagen etwas den Weg. Kommt der Bus links an ihm vorbei? Marlis, die am linken Fenster saß, meinte: Das geht nicht gut. Halb waren wir zwar schon am Lorry vorbei, da rutschten wir in beängstigende Schräglage, und – rums – lagen wir auf der linken Seite. Ich hatte mich instinktiv nach vorn gebeugt, um nicht auf Marlis liegen zu kommen, dafür rutschte aber das ganze Gepäck unserer rechten Nachbarn so gegen ihre Beine, dass ein Fuß eingeklemmt wurde.
Es gab weniger Geschrei, als man annehmen sollte. Der Fahrer hatte rasch seine Tür geöffnet und befahl den schnellen Ausstieg, indem man über seinen Sitz hochkletterte, sich oben auf die Seite des Busses setzte und irgendwie hinunter auf die Straße kam. Marlis konnte ihren Fuß befreien, indem sie ihn aus dem Schuh zog, und sie war als erste draußen, ich reichte unser Handgepäck nach, krabbelte ebenfalls nach oben, rief die Männer des Lastwagens herbei, so dass sie Marlis und andere aus immerhin 3 Metern Höhe auffingen, und sprang dann selber runter, fiel dabei kaum hin und spürte nur einen leichten Schmerz in den Zehen. Nun galt es, kräftige Männer zu motivieren, die vielen jüngeren und älteren, zarten und kräftig gebauten Frauen aufzufangen; vorher mussten sie mit „Pole, Pole“ (langsam) beruhigt und vor dem Sprung zum Hinsetzten gebracht werden. Babys wurden durch rückwärtige Fenster nach oben gereicht, Mütter kletterten hinterher und dann einen praktischerweise dort stehenden Baum hinunter. Marlis nahm die Kinder in Empfang und auf den Arm und beruhigte besorgte Mütter. Nach ca. 15 Minuten waren 70 bis 80 Passagiere sicher auf der Straße – kein einziger ernsthaft verletzt. Viele lagerten auf der gegenüberliegenden Böschung und hegten wohl die Illusion, dass der Bus irgendwie wieder aufgerichtet werden könnte oder dass sie an das im Bauch des Busses verstaute große Gepäck kämen.
Es war uns klar, dass „Mwafrika“ erst einmal außer Gefecht gesetzt war. Damit uns keiner vermissen würde, verabschiedeten wir uns vom Begleitpersonal und machten uns zu Fuß auf zum nächsten Dorf, Kipengere, dass wir nach ca. 4 Kilometern und einer Stunde auch erreichten, im schleppenden Gang, denn meine Füße schmerzten. Später stellte ich fest, dass ich beiderseits kräftige Blutergüsse hatte, die aber 5, 6 Tage später überstanden waren.
In Kipengere angekommen, nachdem wir als zwei müde weiße Wanderer auf die Hüttenbewohner und Feldarbeiterinnen links und rechts der Straße einen rätselhaften oder skurrilen Eindruck machten, ihnen vom Geschehenen erzählten und viele „Pole sana“ und mit mitfühlende Händedrücke ernteten, stärkten wir uns mit Tee und Mandazi (der hiesigen Version von Berlinern), riefen Pastor Adrick Mwambemba in Njombe an, und er fand tatsächlich ein Taxi, das es wagte, für einen stolzen Preis die 35 Kilometer Rumpelstrecke nach Kipengere zu fahren und uns abzuholen. Sein PKW hüpfte verwegen über die vielen Löcher und Bodenwellen, nachdem er hörte, dass wir unbedingt vor 17 Uhr das Postamt erreichen mussten. Um 16.55 Uhr kamen wir dort an, um 17.30 Uhr waren wir in der Impoma Garden Lodge , unserem Stammhotel, genossen ausnahmsweise Spaghettis und Fisch, dazu ein kühles Serengeti-Bier (nach deutschem Reinheitsgebot gebraut in Dar es Salaam), und sagten uns: Asante Mungu, Gottseidank, es war wieder einmal Safari njema, eine gute Reise. Oder, wie man uns hier bei ähnlichen Gelegenheiten lächelnd tröstet: Well, this is Africa! Tja, das ist nun mal Afrika. Am nächsten Tag wollten wir die Rück-Safari antreten. Wir fanden auch ein Auto mit ca. 10 Sitzplätzen, mussten aber außerplanmäßig drei Stunden warten, und als es sich schließlich in Bewegung setzte, fuhr es nicht, wie angekündigt, Richtung Tandala, sondern keuchend im ersten Gang zu einer Werkstatt. Gegen alle Proteste stiegen wir aus, erhielten sogar unser Geld zurück und entschieden uns zu einer zweiten, wiederum erholsamen Nacht in der Impoma Lodge. Nun aber verkneife ich mir zu schildern, wie wir tags darauf doch am späten Nachmittag wohlbehalten in Tandala gelandet sind. Das ist eine andere Geschichte, aber mit der gleichen Überschrift: S A F A R I N J E M A.
Hartmut Barsnick