Eine gute Idee
Am Ortseingang von Mang’oto, dem Sitz einer Verwaltungsgemeinschaft von 10 Dörfern in den tansanischen Livingstone Bergen, steht ein merkwürdiges Schild mit dem internationalen Symbol der AIDS-Schleife und einem etwas längeren Text, den ich mir übersetzen ließ: „Eine Witwe zu übernehmen ist „ KEINE GUTE IDEE“. Wie bitte? Was soll das bedeuten?
Nun, im Stamm der Wakingas, und nicht nur in ihm, war es eine gute, soziale afrikanische Sitte, eine Frau, die ihren Mann verlor, nicht allein zu lassen. Ein Bruder des Verstorbenen, also ihr Schwager, übernahm sie sozusagen als Nebenfrau – eine auch von den Kirchen geduldete Ausnahme zur Monogamie-Regel. So war sie nicht arm und rechtlos, sondern versorgt, und ihre Kinder auch. Die „ extended family“, die afrikanische Großfamilie, war eine Solidaritätsgemeinschaft, in der allerdings Frauen ihren festen, untergeordneten Arbeitsplatz hatten, zuständig für Kinder, Küche, Kirche und Acker. Das Zeitalter von HIV/AIDS krempelte alles um. Nun bedeutete eine solche „Übernahme“, dass die Witwe, deren Mann wohl an AIDS gestorben ist, selber unwissentlich den Virus in sich trägt und nun ihrem Schwager bzw. neuen Ehemann weitergibt, von dem er zu seiner ersten Frau wandert, von dieser zum nächsten Kind und so weiter. Diese Ansteckungskette gilt es, zu durchbrechen – durch energische Aufforderung, zum Testen zu gehen, und eben auch durch die Beendigung einer alten Tradition und das Finden neuer Lösungen und Verhaltensweisen.
Solch ein Neuanfang findet z.Zt. als Kettenreaktion im Kirchenkreis Tandala statt. Ein Aufklärungsseminar in der evangelischen Kirche im Dezember 2008, bei dem Hartmut und Marlis Barsnick referierten, Mut machten zum Umdenken und das sexuelle und finanzielle Selbstbestimmungsrecht der Frauen betonten, hatte zur direkten Folge, dass sich 27 Witwen und 3 Witwer im Ortsteil Singida zu einer Gruppe zusammenschlossen, der sie den Namen „Wema“ (Barmherzigkeit) gaben. Sie wählten einen Vorstand und legten fest, sich einmal pro Monat auf dem Gelände des örtlichen Marktes zu treffen, gegenseitig zu beraten und Kleinstkredite zu vergeben, die sich aus einem Monatsbeitrag von 1000 Schilligen (55 EURO-Cent) speisen. Dieses funktioniert seit Januar 2009, so dass sie – nun auch mit ein wenig Hilfe aus Deutschland – im Dezember jedes Mitglied mit einem jungen Schwein und ein paar Hühnern versorgen können. Die Tierhaltung wird gemeinsam organisiert und den älteren Mitgliedern anvertraut. Ca. ein Drittel dieser Frauen und Männer sind HIV-positiv – und machen kein Geheimnis mehr daraus.
Als Marlis nun in anderen Dörfern in Gottesdiensten Grußworte sprach und von dieser neuen Entwicklung in Tandala berichtete, war es, als hätte man nur darauf gewartet, dass der Funke überspringt. Am 4.10. wurde in Makangalawe eine ähnliche Gruppe gebildet, am 11.10. in Usungilo, am 15.10. in Mang’oto parallel zu einer Gemeindekirchenratssitzung und am 1.11. in Ukwama. Jede Gruppe erhält aus deutschen Spenden eine kleine Starthilfe von 100 000 bis 200 000 Schillingen (55 bis 110 EURO), und eine Frauen-Power neuer Art ist auf den Weg gebracht. Tierhaltung und Gemüseanbau führen zu einem Anwachsen der extrem geringen Kaufkraft. Vor allem aber entwickeln gesunde und kranke Männer und Frauen ein neues Selbstbewusstsein, das sie aus der alten Opferrolle herausholt.
Bei einem Treffen der Gruppe „Wema“ in Tandala musste Hartmut Barsnick allerdings freundlich-fröhliches Gelächter über sich ergehen lassen. Er fragte nämlich, ob einige der anwesenden Witwen vielleicht gerne wieder heiraten würden. Da lag er völlig daneben. Sie waren sich alle einig: Es wieder mit einem Mann zu versuchen, ist „KEINE GUTE IDEE“.
Hartmut Barsnick