Ein Zauberspruch zu wenig?
Was einem deutschen Gast und Missionar so alles zugetraut wird: Da kommen eines Tages zwei würdige Besucher: Der Kinderarzt Dr. Keshi und der Pastor Marko Chengula (beide Namen geändert). Sie erzählen, dass in dem entlegenen Dorf Madihani ein Schatz zu heben ist.
Dort befand sich vor dem ersten Weltkrieg die erste deutsche lutherische Missionsstation dieses Ukinga genannten Landesteils Ostafrikas. Als die Engländer im Weltkrieg hier gegen die deutsche Kolonialmacht die Oberhand gewannen, mussten auch die deutschen Missionare die Koffer packen. Nun wird seitdem mündlich überliefert, dass der Missionar von Madihani wertvolle Dinge nicht den Engländern überlassen wollte, zumal er hoffte, eines Tages zurückzukehren: Also vergrub er Gewehre, Pistolen - und größere Mengen der Deutschen Reichsmark.
Ist es nicht an der Zeit, so Barsnicks Gäste, diesen Schatz zu heben und der armen Dorfbevölkerung von Madhani zugute kommen zu lassen? Die Sache hat nur einen spirituellen Haken: Es liegt ein Fluch auf dem geheimen Ort, den aber einige Alte kennen. Es ist wohl ein deutscher Fluch, und alle Versuche von Tansaniern, an das Geld und die Gewehre heranzukommen, scheiterten bisher daran, dass die besagte Stelle von einer immerwährenden giftigen Schlange bewacht wird. Also benötigt man einen deutschen Zauberspruch, um diese hundertjährige Verschlusssache aufzuknacken: Bitte,lieber deutscher Pastor, komm mit nach Madihani und vollbringe diesen Zauber!
Nach mehr als einstündigem, sehr interkulturellem Gespräch zogen die beiden verhinderten Schatzgräber wieder ab. Sie konnten den deutschen Pastor nicht umstimmen, der ihnen erklärte:
- Sorry, ich bin kein Zauberer, sondern ein Prediger des Wortes Gottes, das von aller Angst befreit, auch von der Angst vor geheimnisvollen Mächten.
- Nach den Gesetzen des Landes Tansania würde solch ein Schatz, wenn er dann gehoben würde, dem Staat gehören, nicht aber privaten Glücksrittern.
- Nein, ich glaube an keinen Fluch und geheimnisvolle Schlangen.
- Das beste, was Gewehren geschehen kann, ist, dass man sie vergräbt,am besten überall in der Welt. Lasst sie ruhen.
Als der deutsche Pastor versuchte, später diesen merkwürdigen Besuch „aus einer anderen Welt“ zu verdauen, kroch in ihm die Frage hoch, ob er nun seinerseits verflucht würde. Aber nein, er konnte fröhlich seine Arbeit in Tansania fortsetzen: „Furcht ist nicht in der Liebe!“
Hartmut Barsnick