Überfall? Unfall? Tiefer Fall!
In der Süd-Zentral-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias werden die Pastoren hin- und hergeschoben wie Schachfiguren. So wurde Ende 2001 wieder einmal ein Pfarrer der armen Berggemeinde Mang’oto nach weniger als zwei Jahren versetzt, obwohl er seine Ernte (Gehälter werden kaum gezahlt, da muss man u.a. vom eigenen Maisfeld leben) noch nicht eingebracht hatte und gerade eine Partnerschaftsfahrt mit einer zwölfköpfigen Delegation zur befreundeten Kirchengemeinde, dem Pfarrsprengel Aspenstedt in Deutschland, vorbereitete. Als der Aspenstedter Pfarrer Hartmut Barsnick im Januar 2002 wieder einmal Mang’oto besuchte, um Einzelheiten der Besuchsreise zu besprechen und die jährliche finanzielle Unterstützung für 350 Waisenkinder in 4 Dörfern zu bringen, traf er auf seinen neuen Kollegen, Pastor Agili Sigallo (Name geändert). Er hatte gleich einen guten Eindruck von „dem Neuen“: geschäftig, einfallsreich, gut Englisch sprechend, humorvoll. Er wurde in die Delegation mit einbezogen als nunmehr verantwortlicher Leiter und erhielt die nötigen Gelder für Geburtsurkunden, Pässe, Visa, Reisekosten. Auch erhielt er rund 3,5 Millionen Tansania-Schillinge(zweitausend Euro) für die Waisen der Grundschulen, die Barsnick nicht selber besuchen konnte. Da die örtliche Kirchengemeinde – wie alle anderen auch – kein eigenes Bankkonto hatte, wurde diese für afrikanische Verhältnisse enorme Summe sicher im Safe der Bibelschule von Mang’oto gelagert. „Safe“ heißt ja „sicher“ – dachte man.
Einen Monat später kam ein trauriger Brief aus Mang’oto in Aspenstedt an. Pastor Sigallo schrieb, dass ein Überfall stattgefunden hatte: Nachts kamen zwei unbekannte Männer und zwangen mit vorgehaltener Waffe den Schatzmeister der Bibelschule, den Safe zu öffnen und das große Bündel Geld zu übergeben; dann verschwanden sie in Richtung Njombe. Der Pastor wurde geweckt und nahm auf seinem Motorrad die Verfolgung auf, stürzte aber unglücklich und musste aufgeben. Die später eingeschaltete Polizei tappte im Dunkeln. Damit war das viele Geld für die Waisenkinder, die ärmsten der Armen, in diesem Jahr unwiederbringlich verloren. Ob man wohl irgendwie helfen könne?
Der vierwöchige Besuch der Freunde aus Mang’oto im Juni im Pfarrsprengel Aspenstedt war ein großer Erfolg und Pastor Sigallo ein überaus agiler Anführer. Als allerdings Pastor Barsnick wenige Monate später seinen nächsten Besuch in der Partnergemeinde Mang’oto absolvierte, war das Schachspiel „Pastorenrochade“ schon wieder weitergespielt worden: Pastor Sigallo hatte im Sommer 2002 ein theologisches Aufbaustudium an der Universität Makumira im Norden des Landes aufgenommen. Dazu brauchte der die Genehmigung der Kirchenleitung und – normalerweise – ein Stipendium aus Übersee, aber „irgendwie“ war die Studiengebühr von 2,5 Millionen Schillingen von ihm selber aufgebracht worden. Der Schatzmeister der Bibelschule war inzwischen entlassen worden, da ein gewisser Verdacht auf ihm ruhte; polizeiliche Vernehmungen hatten aber nichts Handfestes erbracht. Die Ältesten der Kirchengemeinde und das ganz Dorf hatten sich aber jetzt ihren Reim darauf gemacht: Es war gar kein Überfall, auch kein Unfall, sondern ein tiefer Fall des geschäftigen, einfallsreichen Kurzzeitpfarrers, aber zusammen mit dem – später wegen Korruption abgewählten – Bischof so gut eingefädelt und abgedeckt, dass nichts nachzuweisen war. Zwei Jahre später wurde S. sogar zum Jugendpfarrer der Diözese ernannt, ging aber sehr bald wieder nach Makumira, da er im ersten Anlauf auf den Master Degree gescheitert war.
Ach Gott im Himmel, sieh darein, einige deiner Hirten entpuppen sich selbst als verirrte Schafe! Mang’otos Waisen werden aber weiterhin regelmäßig unterstützt. Treue Hirten sorgen verlässlich dafür.
Hartmut Barsnick